Mafia II

Warum die Gangster-Story keinen Erfolg hat

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„Mafia II“ ist immer noch ein Massenprodukt, das steht ausser Frage. Es ist keine finanzielle Selbstaufgabe um der Kunst Willen, auf keinen Fall. Auch das Spiel um den Mafioso Vito Scaletto ist ein wirtschaftlich orientiertes Produkt.
Aber die Entwickler von 2K Czech, verstehen es gut, immer wieder (ob bewusst oder unbewusst spielt keine Rolle) Erwartungshaltungen im Spiel zu durchbrechen und Dinge einzubauen, die einen nachdenken lassen.
Das beginnt schon bei der Hauptfigur, die einer bestimmten literarischen Epoche entspringen könnte. Vito erinnert frappant an die Helden der Beat-Generation, die zwischen den beiden Weltkriegen geboren ist und nach dem zweiten Weltkrieg grosse Erfolge feiern konnte. So zum Beispiel Jack Kerouac oder auch der sich selber nicht zu den Beatniks zählende Charles Bukowski.
Die Beat-Literatur war stark vom damaligen Zeitgeist beinflusst. Das schnelle Leben zur Zeit des Kalten Kriegs, die Ruhelosigkeit der damaligen Zeit, Tabubrüche und existenzialistische Sichtweisen wie die eines Albert Camus (L’Étranger, Le Mythe de Sisyphose) waren stilprägend. Und der kleine Mann, also etwa ein Eisenbahnarbeiter, ein Kleinkrimineller oder Saufköpfe stellten die Protagonisten der Beat-Literatur dar.
Genau so ein Antiheld ist Vito Scaletto. Er setzt sich mit sich selbst auseinander und hadert mit seinen Entscheidungen. Zumindest anfangs, als er sich seiner Mutter und der Tradition zuliebe trotzdem am Hafendock für ehrliche Arbeit anheuern lassen will. Da kommt bereits der erste grosse Stilbruch. Vito muss Kisten schleppen, und es scheinen undendlich viele zu sein, fast so wie in „Le Mythe de Sisyphose“, wo der Sisyphos jeden Tag einen Stein den Berg hinaufrollt um ihn wieder runterkullern zu lassen, sodass sich die Arbeit auf Ewigkeit wiederholt. Zwar gibt der Entwickler dem Spieler gleich nach der ersten Kiste die Möglichkeit die Arbeit sein zu lassen und zu gehen, die wahrscheinlich auch viele Gamer wahrnehmen. Macht man dort aber weiter, kriegt man diverse Kommentare von Vito zu hören seine Gedanken kommen der Vorstellung der Absurdität von Camus immer näher bis er mit seiner Aufgabe bricht und man gehen muss. Dieser Moment trifft einen, denn hatte man zuerst noch die Kontrolle über seine Spielfigur, entscheidet sich diese plötzlich gegen das etwaige ethische Empfinden des Spielers. Und das ist einer dieser grossen existenzialisischen Wendepunkte, die einen enorm mit Vito verbinden, denn ab da hat man als Spieler das Ziel Vito trotz seiner Entscheidung möglichst unbeschadet durchs Spiel zu lenken.
Zwar haben die Entwickler das nicht so auf die Spitze getrieben, wie es einst bei „Postal 2“ der Fall war, wo man in praktisch jedem Level irgendwo Schlange stehen  musste und so weit zum Wahnsinn getrieben wurde, bis man zum Waffenarsenal griff und sich den Weg freiballerte.
Nichtsdestotrotz ist das einer der vielen Momente, die von durchschnittlichen Spielern übersehen oder als „seltsam“, als irgendwie „fehl am Platz“ befunden werden.
Weiterhin ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Kritiker sagen, das Spiel habe nicht viel mit einem wirklichen Mafiatitel zu tun, man habe ja nicht mal die Möglichkeit zu einem donähnlichen Verbrecher aufzusteigen. Das will „Mafia II“ auch gar nicht, denn 2K Czech erzählt die tragische Geschichte einer Immigrantenfamilie, die sich tief verschuldet, die sich in einer kleinen Wohnung einpferchen muss. Vito lebt den „American Nightmare“ und zwar richtig. Nicht wie Niko Bellic aus „GTA IV“, der uns dies ebenfalls vorgaukeln will, uns aber trotzdem maximale Freiheiten, Macht und Geld in die Hand drückt. Die eigene Ohnmacht im Angesicht der grossen Fische des oranisierten Verbrechens und der erbarmungslosen Gesellschaft machen den Helden aus. Denn er besteht nicht alle Prüfungen, zerbricht manchmal daran und versucht sein Gewissen auszuschalten. So wie ein Protagonist der Beatniks eben. „Mafia II“ lebt von der klaustrophobischen Stimmung, die in dieser Stadt herrscht, nicht von der Freiheit und Machtgebung der sogenannten Sandbox-Games. Der Spieler kriegt kaum Zeit und kaum Möglichkeiten sich anders in der Stadt zu verdingen oder andere Bezirke zu erkunden, denn er rennt auf sein unausweichbares Schicksal zu. Hätte man tatsächlich die Möglichkeit Taxi-Missionen zu spielen, mit Drogen zu dealen oder sonstige Nebentätigkeiten auszuführen, welche durch „GTA“ zu einer Tugend für Open-World-Games erklärt wurden, täte das der ganzen Dramaturgie einen extremen Abbruch. Diese Unfreiheit, über die sich die Spieler und Fachpresse beschweren, ist einer der Aspekte, die „Mafia II“ und dessen bedrückende Atmosphäre ausmacht. Dazu gesellen sich Spielelemente wie Tempobegrenzungen, extrem detaillierte Fahndung nach Straftaten und die eigene Sterblichkeit, die dem Spieler die Entfaltungsmöglichkeiten rauben, ihm dafür eine Spielerfahrung bieteen, die man momentan seinesgleichen sucht. Man muss nur bereit sein, sich auf diese extrem immersive Welt einzulassen. Denn überall lockt die Freiheit: Playboy-Magazine, Bars mit Alkohol, zynische Radioprogramme, Frauen, schnelle Karren, Geld und Macht. Nur ist man hier nicht Herr darüber, sondern Sklave.
Es ist ungerecht, ein Spiel an seiner Freiheit zu bewerten, besonders dann nicht, wenn diese Freiheit nie verspochen wurde. Wer bereit ist den eigenen Hedonismus beim Spielen hintenanzustellen, hat die Möglichkeit in eine detailierte Welt einzutauchen, die in vielerlei Hinsicht ein Lehrstück ist, sei es in geschichtlicher Hinsicht, sei es in mehr Verständnis für Immigranten oder einfach nur in mehr Akzeptanz für die künstlerische Freiheit eines Enwticklerstudios.

Die momentane Game-Industrie ist paradox: Sie verlangt den Kunststatus, lässt sich aber von Doktrinen regieren und weiss allfällige Ausbrüche, Grenzüberschreitungen nicht zu würdigen.
Wenn sich das nicht ändert, werden Games auch in hundert Jahren nicht zur Kunst gezählt. Denn es ist nicht die Gesellschaft, die das verhindert, sondern die Konsumenten, die Gamer selber.

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