Bravely Default II - Test / Review

Im Schatten des Grindings

Test Video Benjamin Braun getestet auf Nintendo Switch

Better stop that grinding ...

"Bravely Default II" beginnt relativ seicht. Klar: Wer grundlegende Elemente völlig ignoriert, kriegt gewiss schon innerhalb des locker vierstündigen Prologs Probleme. Die meisten dürften allerdings bis dahin ohne grosse Hürden durchs Abenteuer marschieren, sich vielleicht über den etwas zähen, aber leichten ersten Boss echauffieren, aber erst beim zweiten erstmals das Gefühl bekommen, dass hier irgendetwas überhaupt nicht stimmt. Denn in "Bravely Default II" ist es nicht etwa nur das Joblevel-Grinding, das zur Bewältigung der späteren Bosse erzwungen wird, sondern auch Level-Grinding an sich. Es gibt definitiv Momente, in denen man bei anfänglichen Fehlern auch mal einen Kampf mit einem niedergeschlagenen Gefolgsmann beendet. Aber die Spielbalance passt von vorn bis hinten nicht. Tatsächlich ist es eigentlich nie ein Problem, den nächsten Bosskampf zu erreichen, selbst wenn sich bis dahin die Gegner gelegentlich sogar relativ fordernd anfühlen mögen.

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Bravely Default II

Gelangen wir mit einer scheinbar ausreichenden Stärke jedenfalls zum nächsten Boss, wischt dieser in teils absurder Manier mit uns den Boden. Nicht sofort, denn dass so ein Kampf auch bei einer Niederlage mal 20 Minuten (bei normalem Tempo, ihr könnt Gefechte auch ohne Zeitdruck in vierfacher Geschwindigkeit ablaufen lassen) dauert, ist ein zusätzliches Ärgernis. Ihr könnt uns jedenfalls glauben, dass die Bosse sowohl auf dem normalen Schwierigkeitsgrad als auch selbst auf der einfachen Stufe ohne Grinding im ersten Anlauf kaum zu schaffen sind. Und damit meinen wir Level- und Joblevel-Grinding gleichermassen. Ein Stück weit mag das für J-RPGs normal sein. Allerdings haben wir es bislang in kaum einem anderen Genrevertreter der letzten 15 Jahre so extrem erlebt wie in "Bravely Default II". Und das will, nicht gerade in positiver Manier, schon etwas heissen. Lasst euch da bitte nicht von der umfangreichen Demoversion im Nintendo eShop täuschen. Das besagte Grinding geht erst danach los.

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Bravely Default II

Das Tragische daran ist aber eben, dass es das Spielerlebnis zwar länger, aber wesentlich schlechter macht. Um den Bossen gewachsen zu sein, muss man es immer wieder tun, wenn auch beim einen etwas stärker, beim nächsten vielleicht etwas weniger. Allerdings spricht es Bände, dass man ungefähr dann weiss, wobei dafür auch mal zwei, drei oder gar mehr Extrastunden mit Kämpfen gegen bereits bekannte Gegner notwendig sind, wenn die normalen Feinde im Boss-Dungeon längst vor Angst vor unserem Trupp flüchten, anstatt auf ihn zuzustürmen. Ja, es gibt Möglichkeiten, das notwendige Grinding, insbesondere mit Blick auf die Jobpunkt-Ausbeute, zu beschleunigen, indem man "Monsterhappen" verwendet, mit denen man gezielt Gegner der verschiedenen Kategorien anlockt, also etwa humanoide Widersacher wie Orks, Insekten wie Killerameisen oder Geister. Allerdings macht es das anspruchsarme Grinding nicht besser, wenn man dadurch eben statt einer Runde auch mal drei oder vier am Stück bewältigen muss. Es ist einfach Spielzeitsteckung. Und nachdem man die Bosse, die weniger aufgrund ihrer mächtigen Skills, sondern vor allem wegen ihrer teils lächerlich hohen Trefferpunkte eine zunächst unüberwindbare Hürde darzustellen scheinen, endlich erledigen kann, sind die normalen Gegner im nächsten Abschnitt wieder zu leicht. "Bravely Default II" mag dem äusserlich nicht entsprechen, aber das ist eine Spielbalance aus der Hölle. Anders als den Entwicklern etwa von "Octopath Traveler", das nun auch nicht gerade kurz, dabei jedoch vergleichsweise Grinding-arm ist, hat Claytechworks offenkundig niemand gesagt, dass 20 geniale Spielstunden besser sind als 40 oder 50 künstlich gestreckte.

Fazit

Auch wenn die letzten Textabschnitte anders anmuten mögen, ist "Bravely Default II" gewiss kein schlechtes J-RPG geworden. Es sieht hübsch aus, die Helden sind sympathisch, die Story zwar nicht gerade Oscar-verdächtig, aber unterhaltsam. Der Titel bietet mit seiner Brave-Mechanik weiterhin eine ziemlich coole und fürs Genre in der Form einzigartige zusätzliche taktische Komponente. Aber selbst für Genre-Fans, die die für J-RPGs fast schon üblichen Grinding-Tendenzen gewohnt sind, geht Entwickler Claytechworks mehr als einen Schritt zu weit und bleibt vor allem in diesem Bereich recht deutlich hinter den Erwartungen zurück. Dass auch technisch viel mehr auf der Switch möglich gewesen wäre, ist aufgrund der stimmigen Atmosphäre hingegen kaum mehr als eine Randbemerkung wert. Mit Patches könnte und sollte die Spielbalance teils noch korrigiert werden. Zu einem allgemeinen Pflichtkauf würde es aber wohl auch damit am Ende nicht reichen. Selbst J-RPG-Anhänger müssen "Bravely Default II" in der aktuellen Form nicht zwingend erlebt haben.

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Bravely Default II

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