Die GAMES.CH Kolumne #07-2019: Cyberpunk 2077

Cyberpunk 2077 muss kontrovers sein, um zu funktionieren

Kolumne Video Michael

Die E3 ist nun schon eine Weile her, und es lässt sich sicher sagen, dass "Cyberpunk 2077" das Spiel der Messe war. Jedoch hat es nicht nur für viel Vorfreude gesorgt, sondern auch für einige Diskussionen um kontroverse Darstellungen. Doch das ist kein schlechtes Omen, sondern ein gutes Zeichen!

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Es war wohl der Moment der E3 2019, der noch auf Jahre gefeiert werden dürfte: Die Microsoft-Pressekonferenz läuft, als plötzlich Keanu Reeves auf die Bühne kommt. Das Publikum dreht durch. Jemand schreit ihm zu, er sei "atemberaubend", und Keanu gibt das zurück - an die ganze Halle: "Du bist atemberaubend! Ihr seid alle atemberaubend!" Dabei ging es in diesen Moment doch aber eigentlich um etwas ganz anderes, nämlich um das Spiel "Cyberpunk 2077", in dem Keanu Reeves als Johnny Silverhand auftreten wird. Der Charakter ist ein Rockerboy und Strassenpoet - und starb vor rund einem Jahr. Seitdem existiert er als Cybergeist und somit als virtuelle Projektion vor den Augen des Helden (oder wahlweise der Heldin). Ja, "Cyberpunk 2077" scheint faszinierend zu werden. Sowohl Fans als auch Journalisten, die auf der E3 einen Blick auf eine weitere Gameplay-Demo werfen konnten, sind sich da ziemlich einig.

Aber mehr noch: "Cyberpunk 2077" könnte das richtige Game zur richtigen Zeit werden, denn obschon es auf den ersten Blick nicht unbedingt so scheint, leben wir doch zum Gros schon in einer Cyberpunk-Welt. Wie in "Blade Runner", "Neuromancer", "Snow Crash" und der Spielvorlage "Cyberpunk 2020" sind wir nahezu immer und überall von Werbung umgeben. Nicht unbedingt von grossen Neon-Anzeigen, aber sehr wohl von Plakaten, Websites, im Fernsehen und auf unserem Smartphone. Zudem beherrschen unübersehbar grosse Konzerne wie Google, Facebook, Amazon und Tencent weite Teile unseres Lebens, kennen uns und unser Konsumverhalten. Längst haben viele Menschen Staubsaugerroboter in ihren Häusern und KI-Assistenten im Wohnzimmer oder in der Jackentasche. In China betteln Obdachlose zunehmend nicht um Münzgeld, sondern mit einem QR-Code um Überweisungen auf ihr WeChat-Konto. Und regelmässig muss die Software von E-Autos, Herzschrittmachern oder Hörgeräten aktualisiert werden, da sie sich hacken lässt.

Hat es wirklich etwas zu sagen?

Mit "Cyberpunk 2077" hat CD Projekt RED also die Chance, nicht nur ein cooles Videospiel mit schicker Cyberpunk-Ästhetik abzuliefern, sondern auch einen cleveren Kommentar auf unsere Welt, Gesellschaft und Kultur. Klar, das ist viel verlangt von den Machern, die hier mit einem ambitionierten Erscheinungsdatum im Rücken arbeiten. Tatsächlich sind jedoch schon Ansätze vorhanden. Das digitale Geister-Alter-Ego von Keanu Reeves macht nachdenklich, wie auch wir nach unserem Tod in Form von Social-Media-Konten im Internet weiterleben könnten. Bereits in der ersten Gameplay-Demo war das "Trauma Team" zu sehen, ein Mega-Unternehmen, das mit bewaffneten Notfallmedizinern zu horrenden Preisen Verletzten das Leben rettet und sie in das nächstgelegene Krankenhaus schafft. Es ist eine bissig-zynische Satire auf private Rettungsdienste und den amerikanischen Krankenversicherungsmarkt.

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Auch die Kluft zwischen Arm und Reich wird zumindest visuell porträtiert. Und die Frage, wie viele technische Teile es braucht, bis eine Person mehr Maschine als Mensch ist, könnte gestellt werden. Diese Voraussetzungen sollten die Spielemacher nutzen und ausbauen, um auch eigene Fragen zu stellen, Ideen zu konzipieren und Deutungen anzubieten. Denn das ist es, worum es in dem finsteren Genre eigentlich geht. Cyberpunk ist mehr als nur eine düstere Neonkulisse voll von Menschen mit mechanischen Armen und schrägen Klamotten. Nein, das Cyberpunk-Genre war seit jeher philosophisch, kritisch und von nicht zu übersehenden, vielfältig zu deutenden Metaphern geprägt. Allen voran, was die Folgen von technischen Entwicklungen, der Privatisierung, der Umweltverschmutzung und dem Scheitern von Regierungen angeht. Natürlich ist das nicht ohne Risiko und Gefahr, selbst kritisiert zu werden.

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