Parasite - Filmkritik

Schmarotzer unter sich

Artikel Video Steffen Haubner

Nun sitzen wir also zu Hause und gehen uns gegenseitig auf die Nerven. Unfassbar, wie es so ein im wahrsten Sinne des Wortes mikroskopisches Wesen geschafft hat, die ganze Welt lahmzulegen. Und dann diese ewigen Ermahnungen, was man alles tun und vor allem lassen soll! Natürlich hat die Coronakrise uns alle auf eine ganz spezielle Art sensibilisiert. Und so fallen einem sofort all die Appelle an Vernunft und Rücksichtnahme ein, wenn man auf der Bonus-Disc der bei Koch Media erschienenen schönen Mediabook-Edition von "Parasite" hört, wie die Darsteller und Regisseur Bong Joon-ho eindringlich darum bitten, keine der zahlreichen Wendungen ihres Film zu verraten. "Wir alle haben die Verantwortung, andere vor Spoilern zu schützen!", so die Botschaft.

Aber es ist eben doch zu verlockend, in den sozialen Netzwerken seinen Wissensvorsprung auszuspielen. Und wir Kritiker werden ja sowieso gern als Trittbrettfahrer geschmäht, die von der Arbeit der Künstler leben und sich in ihrem Ruhm sonnen wollen. Ja, wir alle sind verdammte Parasiten! Wie aber sollen wir unserer Arbeit nachgehen, wenn wir nicht beschreiben dürfen, mit welchem Einfallsreichtum Bong Joon-ho das Publikum an der Nase herumführt? Wie er Täuschungsmanöver im Zehn-Minuten-Takt vom Stapel lässt und falsche Fährten legt, die sich plötzlich als richtig erweisen, und richtige, hinter denen sich Falltüren verbergen, durch die der eben noch ahnungslose Zuschauer plötzlich in die Tiefe gerissen wird. Ein Film über Beziehungen, so lautet die Kurzbeschreibung des Regisseurs, aber natürlich ist auch das eine Falle.

Gruppenbild mit schwarzen Balken

Das koreanische Filmplakat zeigt ein Gruppenbild, bei dem jede der abgebildeten Personen einen schwarzen Balken über den Augen trägt. "Finde den Eindringling", steht darüber. In "Parasite" geht es, so viel darf man wohl verraten, um Arm und Reich, um Privilegierte und arme Schweine, die sich mit den Knochen begnügen müssen, die die Gesellschaft ihnen hinwirft. Das kann auch mal eine auf der Strasse versprühte Wolke Insektengift sein, für das die in einer Kellerwohnung hausende Familie Kim bereitwillig die Fenster öffnet, um das Ungeziefer in der eigenen Bude zu vernichten. Der ärgste Feind des Parasiten ist ein anderer Parasit.

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Gestatten? Die Kims. Arm, aber glücklich leben sie in ihrem Kellerloch. Bis sich ihnen eine ungeahnte Chance bietet.

Als sich den Kims die unverhoffte Gelegenheit bietet, am ansonsten unerreichbaren Wohlstand der Parks teilzuhaben, zögern sie keine Sekunde. Mit grossem Einfallsreichtum infiltrieren sie den Alltag der neureichen Familie, indem sie deren Personal ersetzen, und machen sich Stück für Stück in deren supermodernem Bungalow breit. Trotzdem ist man als Zuschauer, der sich, ebenfalls ziemlich parasitär, an all dem ergötzt, bald nicht mehr so sicher, wer hier eigentlich auf Kosten von wem lebt. Der arbeitssüchtige Vater, die leichtgläubige Mutter und ihr kleiner Sohn leben weitgehend lieblos nebeneinander her, da tut ein bisschen frischer Wind ganz gut. Obwohl "frisch" bei den fröhlichen Kellerkindern wahrscheinlich nicht das richtige Wort ist. Und ist es nicht so, dass der Wohlstand der Parks überhaupt nur dadurch zustande gekommen ist, dass die Kims am anderen Ende der Leiter leben müssen?

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Auch das ist "Social Distancing" - im Falle der Parks sogar innerhalb der eigenen Familie

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