Mary Poppins Returns - Film-Special

Mary Poppins Returns war für mich die Enttäuschung des Jahres

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Mary Poppins ist die Heldin meiner Kindheit. Kaum eine andere Geschichte habe ich so oft mit Playmobil nachgespielt, wie das Auftauchen des stets akkurat gekleideten Kindermädchens, mit dem charmanten Wortwitz. Der Disney-Film mit Julie Andrews und Dick van Dyke ist mindestens einmal im Jahr ein Muss für mich und auch „Saving Mr Banks.“ mit Tom Hanks als Walt Disney und Emma Thompson als Poppins-Autorin P.L. Travers rührt mich immer wieder zu Tränen. Beide Filme gehen mir emotional nahe und lassen mich im Nachhinein mit einer beschwingten Leichtigkeit zurück. Pro-Tipp: Mit einer Tasse Kakao im Bett gucken.

Einige von euch werden bereits jetzt gedacht haben, dass eine Emily Blunt, sowieso niemals einer Julie Andrews gerecht hätte werden können. Fakt ist auch für mich: Niemand ist wie Julie Andrews. Die Art wie sie Würde, Charisma und Cleverness miteinander vereint und dabei zu jederzeit Wärme ausstrahlt, ist ebenso unnachahmbar, wie eine Audrey Hepburn als in "Breakfast at Tiffany's". Es gibt Rollen die sind perfekt verschmolzen und daher zurecht zeitlose Meisterwerke.

Julie Andews Version wird jedoch auch nachgesagt, dass die Original-Poppins aus den Büchern weitaus strenger und nüchterner komponiert war, als sie bei Disney dargestellt wird. Für mich hat sie schlichtweg Klasse.

Blunt ist eine fantastische Schauspielerin. Sie macht einen guten Job. Sie ist kokett. Sie muss in der deutschen Version zugegeben, auch auf ihren charmanten Akzent verzichten. Aber für mich mangelt es ihr trotz perfekten Kostümen an Wärme und Witz.In vielen Szenen empfinde ich Poppins als selbstverliebte Rampensau, die sich in jeglicher Aufmerksamkeit suhlt, die sie bekommt.

Ich liebe Emily Blunt mit Muskeln bepackt in "Edge of Tomorrow" oder in "Girl on a Train". Aber sie ist nicht „meine Mary“. Es fühlt sich nicht gut an.

Während im 64er Film gelegentlich Poppins’ Eitelkeit unterstrichen wird, bleibt sie in der Version von 2018 an jedem Spiegel hängen, ergötzt sich an jedem Kompliment und lässt keine Bühne aus, um sich zu präsentieren.

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Ich bin ein Freund von Musical-Einlagen, aber durch das neue Szenario zur Zeiten der Wirtschaftskrise, gehen einige Einlagen in Richtung "Chicago" (der auch zufälligerweise in seiner Hollywood-Version vom gleichen Regisseur stammt… )

Man fühlt sich häufig wie am Set von „Phantastische Tierwesen“, da die Kulissen durch die Zeit bedingt sehr ähnlich sind. An sich mag ich die 30er Jahre gerne… Hier hat es für mich alles nicht wirklich zusammen gepasst.

Wie im 1964er Film gibt es natürlich auch wieder Hybridszenen mit Zeichentrick. Verglichen mit dem Original wirken die Szenen recht lieblos und das Wiedersehen mit den charmanten Pinguinen, erinnert eher an diese Version aus "Madagascar".

Generell werden viele Elemente aus den Büchern quer miteinander vermischt. Der Film ist kein Remake, aber auch nicht wirklich an den zweiten Teil der Bücher angelehnt. Haben Michael und Jane in den Büchern noch Zwillinge als Geschwister, sind es im 2018er Film Michael Banks' Kinder.

Charaktere die eigentlich bereits viel zu alt sein müssten, wie die Nachbarin Miss Lark oder Admiral Boom und Mr Binnacle, wirken keinen Tag älter. Irgendwie passt es alles nicht so recht zusammen.

Wer den 64er Film vor Augen hat, kann sich den schwerfälligen Michael auch kaum als schlacksigen verwitweten Schnurrbart-Künstler vorstellen. Dieser wird dargestellt von Ben Whishaw, der u.a. Grenoulle in Tywkers "Das Parfum" verkörpert hat. Ich glaube diese Rolle hat mich am meisten gestört. Schliesslich ist Mary Poppins eigentlich die "Retterin" der Vater-Figur und nicht der Kinder. Somit ist dieses Element extrem wichtig.

Dann wären da noch die völlig unpassenden Action-Szenen und das Einstreuen vermeintlicher Bösewichte.. Insgesamt ist die gesamte Story sehr vorhersehbar und passt für mein Gefühl nicht zum Geist, den ich mit dem 64er Film verbinde.

Die Kluft zwischen Fantasie und Realität viel zu weit. So soll es vermutlich aufregender wirken, aber für mich lag das Charisma immer darin, wie nahliegend mit etwas Fantasie das „Aussergewöhnliche“ liegen kann. Das die Magie, darin liegt, wie verblüffend bunt das Leben sein kann, wenn man ein Löffelchen voll Zucker hinzugibt..

Verstörend war für mich auch das tierische Abenteuer in einer Porzellanschale. Das Gegenstück zur Strassenkreide-Reise im Ur-Poppins ist hier ein Besuch im Szenario einer Porzellanzeichnung.

Welches Abenteuer könnte die Kinder hier erwarten? Schliesslich ist alles möglich.. Es ist ein Besuch in einer "Music Hall" in der Mary Poppins als Star-Gast auftritt und ewig lang tanzt und singt. So lang, dass vermutlich der ein oder andere abschalten wird. Nicht zeitgemäss und auch irgendwie nicht wirklich schön trotz vieler Farben.

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Meryl Streep und Colin Firth sind übrigens auch mit an Bord und reissen beide absolut nichts heraus. Alle Lieder überbringen eine Form der Moral a la „Sieh es von einer anderen Seite…lalala… Da ist Licht am Ende des Tunnels..“ In der deutschen Version hat mir ausnahmslos keines der Lieder gefallen. Auf Englisch hört es sich auf Spotify schon besser an. Man muss dazu sagen, dass mich die deutsche Musik in Frozen zum Beispiel gar nicht stört. Ich bin kein Snob diesbezüglich.

Dann braucht man natürlich noch eine Szene mit Schornsteinfegern und setzt diese fast identisch mit Laternen-Anzündern um… Jaja… Licht in die Dunkelheit, Augen zum Himmel gerichtet…

Alles ist sehr gut gemeint, aber nach meinem Gefühl spricht es weder die Kinder unserer Generation an, noch die Menschen, die den Film aus Nostalgie schätzen würden. Es ist einfach nicht rund.

Gänsehaut hatte ich nur in dem Moment in dem die Cherry Tree Lane eingeblendet und das alte Theme kurz angespielt wird. Als Mary Poppins dann, wie es auch im zweiten Buch tatsächlich so geschieht, an einem Drachen statt einem Schirm hinunter schwebt, muss ich leider schmollen. Das legendäre Bild mit Schirm, wird einem bis zum Ende verwehrt und war als Zitat für mich dringend nötig, um etwas Stimmung zu schaffen.

Zu allem Übel fand ich auch den Ersatz für Bert extrem anstrengend. Mir konnte man also wirklich gar nichts recht machen. Während ich mich über jeden Auftritt von Bert kichernd gefreut habe, kommen mir Jacks Auftritte eher wie Stalking eines nervigen Triebtäters vor. Trotzdem macht auch hier Lin-Manuel Miranda eigentlich einen guten Job. Aber… wieder hat es sich völlig falsch angefühlt.

Ich sag es ganz offen: Ich lasse mich gerne hypen. Ich fand den letzten Star-Wars-Film unterhaltsam und war zumindest in Stimmung, aber nach "Mary Poppins Rückkehr" musste ich mir erstmal ein Bier aufmachen. Ich hab den ganzen Film über den Mund verzogen.

Ich sehe absolut Sinn in Veränderungen. Diese sind teilweise nötig um den Geist manch eines Klassikers für eine neue Generation zu erhalten. Aber ich habe in dieser Version einfach nichts gefühlt.

Ich hoffe ich kann mir bald einen Eindruck der englischen Version verschaffen und noch mehr Bücher aufholen, um den Film auch aus dieser Perspektive zu bewerten. Bisher hatte ich nur das erste Buch gelesen.

Im Abspann sagte ich enttäuscht zu meiner Begleitung: „Wieso muss das quäkende Kind auch noch im Abspann singen?“, „Das ist die Studio-Aufnahme mit Annett Louisan, Nina.“ ..."Oh.

Fairerweise muss ich dazu sagen, dass ich den Film bisher leider nur mit deutscher Synchronisation sehen konnte.

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